Bewusstes Lieben: Ein Paradigmenwechsel bei Intimität und Sexualität

Paradigmenwechsel

In den letzten 50 bis 60 Jahren gab es im Umgang mit Intimität und Sexualität mehrere Paradigmenwechsel (Wechsel der Lebenseinstellung). Die prüden 50er Jahre waren geprägt von einem Klima der sexuellen Unterdrückung, von Vorurteilen und Unwissenheit. Sexualität war ein Un- und Fremdwort. Sehr schön dargestellt wird dies zur Zeit in der sehenswerten Fernsehserie „Masters of Sex“, die den Lebensweg der Sexualforscher Masters und Johnson zum Thema hat.

Dank der Pille und der rebellischen Jugend startete in den 60er Jahren in Nordamerika und Europa die „sexuelle Revolution“. Freie Liebe war in aller Munde – zumindest redeten und schrieben alle darüber. Zeitzeugen zufolge beschränkte sich die sexuelle Befreiung allerdings meist auf die körperliche Ebene und die Zahl der Sexualpartner.

In den 70ern trauten sich immer mehr Schwule und Lesben ihre sexuelle Orientierung zu outen und der Feminismus prägte eine ganze Generation von Frauen und Männern. Die körperliche sexuelle Befreiung begann nun auch die Bewußstseinsebene zu beeinflussen.

Vor allem die Angst vor Aids führte in den 80ern bis in die 90er hinein dazu, dass der „freie Sex“ kein Thema mehr war. Die Sexualität verschob sich mehr ins private, die Monogamie war wieder erstrebenswert. Mit sexuellen Themen konnte man nicht mehr revoltieren, im Gegenteil, sie war omnipräsent in der Werbung und in den Medien.

Mit dem freieren Umgang mit Sexualität und Erotik ging aber auch eine tiefe Verunsicherung einher, weil die alten Geschlechterrollen zwar hinterfragt wurden, aber keine wirklichen Alternativen sichtbar waren. Der leichte Zugang zu Pornos über Videos und das Internet zeigten zudem ein Zerrbild über das sexuelle Verhalten von Männern und Frauen.

Hinsichtlich der Art und Weise, wie die körperliche Liebe ausgeführt wurde hatte und hat bis heute sich nicht viel verändert. Das Liebespiel, jede Berührung und Zärtlichkeit dient wie seid Jahrhunderten dem Ziel einen Orgasmus zu erreichen – mit dem Unterschied, dass er heute für beide Partner erreicht werden soll. Das führt nicht selten zu eingespielten mechanischen Berührungen, Leistungsdruck oder das Bestreben, es rasch hinter sich zu bringen.

Was sind die Zeichen für einen Paradigmenwechsel?

Die Protagonisten eines neuen Paradigmenwechsel sind meist nur ein kleine Gruppe, die jedoch große Aufmerksamkeit genießt und ihrer Epoche den Stempel aufdrückt. Der allgemeine gesellschaftliche Wandel setzt erst mit jahrelanger Verspätung ein. Ein Spiegel für die jeweiligen Epochen sind die in dieser Zeit erschienenen Bücher.

Dass zur Zeit wieder ein Wandel der Sichtweisen auf die Sexualität ansteht zeigt die Vielzahl der Bücher, die in den letzten Jahren zu den Themen Slow Sex, Stiller Sex, Soul Sex, Tantra, männlicher und weiblicher Orgasmus u.ä. erschienen sind. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie das bewusste Lieben in den Vordergrund stellen.

Was ist „bewusstes Lieben“?

Zusammenfassend gesagt ist „bewusstes Lieben“ ein harmonisches Zusammenspiel von den fünf Elementen Bewusstseinsveränderung, Entspannung, Achtsamkeit, Kommnunikation und Wissen.

Die „Bewusstseinsveränderung“ führt zu einer geistigen Neuorientierung: Weg von althergebrachten Glaubenssystemen, wie Sex zu funktionieren hat, und hin zu einem bewussten Umgang mit der sexuellen Energie und dem Einlassen auf den Augenblick. Nicht mehr der Orgasmus ist das Ziel, sondern das “orgasmisch sein”.
Langsamkeit ist eines der zentralen Elemente des bewussten Liebens. Und Langsamkeit ist nur möglich durch „Entspannung“. Sobald wir entspannen und langsamer werden, erhöht sich unsere Sensibilität für die Wahrnehmung von Nuancen und subtileren Empfindungen – und senkt den Leistungsdruck, der in vielen Betten herrscht.

„Achtsamkeit“ ist das eigentliche Geheimnis des bewussten Liebens. Auf der Jagd nach dem Orgasmus geht sie oft verloren. Erst durch das bewusste Wahrnehmen und Wertschätzen dessen was gerade passiert, kann ich mich ganz in den sexuellen Genuss entspannen und eine tiefere Verbindung zu meinem Partner/meiner Partnerin aufnehmen. Hier erst entsteht eine Verbindung von Herz und Sexualität.

Ein Redakteur von einem der großen Fernsehsender, hat uns neulich gesagt, ein Studie hätte ergeben, dass während des Liebesspiels kaum geredet würde. Es scheint so, als ob das Reden über Sex intimer wäre, als der Sexualakt selbst. Und das ist meist auch so. Wenn ich über meine Wünsche, Erwartungen und Gefühle rede, muss ich mich öffnen und mache mich verletzbar. „Kommunikation“ in all seinen Formen ist deshalb ein wichtiges Element des bewussten Liebens. Manchmal reicht nur eine kleine Information an den Partner/die Partnerin aus, um Missverständnisse aus der Welt zu schaffen oder bisher geheime Wünsche wahr werden zu lassen.

Wir sind immer wieder überrascht, wieviel Wissenslücken beim Thema Sex bestehen. Der Sexualunterricht vermittelt zwar die wichtigsten körperlichen Grundlagen, aber die Praxis wird eher vom falschen Vorbild der Pornos geprägt. Wenn ich weiß, dass ich als Mann Orgasmus und Ejakulation trennen kann oder welchen Einfluss die unterschiedlichen energetischen Ladungen von Penis und Vagina auf die sexuelle Erregbarkeit haben, kann ich bewusster handeln.

Bewusstes Lieben: SlowSex für Paare

Wir erleben den Paradigmenwechsel bei Intimität und Sexualität täglich hautnah in unserer sexualtherapeutischen Praxis und auf unseren Seminaren. Viele, vor allem langjährige, Paare sind mit ihrem bisherigen Sexleben nicht mehr zufrieden. Statt die Sexualität aus der Beziehung ausschleichen zu lassen, suchen sie nach neuen Wegen. Sie erkennen das große Potenzial der Sexuelenergie und ihre belebende Auswirkung auf alle Aspekte des gemeinsamen Erlebens.

Ähnlich wie die Slow Food-Bewegung hat sich in letzter Zeit regelrecht eine Slow Sex-Bewegung etabliert, mit den entsprechenden Buchveröffentlichungen und Reaktionen in den Medien. Wir sehen uns als Teil dieser Bewegung und unterstützen sie mit unseren Seminaren und einem Online-Workshop (http://bewusstes-lieben.de/).